Demonstration gegen die Legalisierung von Softwarepatenten

22. September 2003 vor dem Europäischen Patentamt Berlin

Nachdem die Abstimmung zur neuen Richtlinie "über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen" (Softwarepatente) im Europäischen Parlament auf den 24. September verschoben wurde, reisst die Welle der Proteste nicht ab.

In der Woche vom 17. bis 23. September wurden in vielen europäischen Städten Protestaktionen gegen die Einführung von Softwarepatenten organisiert.

So fand auch am heutigen Montag, den 22. September um 13:00 Uhr eine Demonstration vor dem Europäischen Patentamt Berlin in der Gitschiner Strasse 103 statt, an der sich an die 100 Leute beteiligten.

Pünktlich um 13:00 Uhr ging es los. Ein Infostand wurde aufgebaut, an dem sich Interessierte über die Problematik informieren konnten, Handzettel wurden verteilt, ein Transparent aufgespannt. Die Teilnehmer diskutierten angeregt auf der Strasse.

Gegen 13:30 Uhr kamen zwei Mitarbeiter des Patentamtes zu den Demonstranten, liessen sich jedoch nicht auf Diskussionen ein und konnten bzw. durften sich zu keiner Stellungnahme durchringen.

Kurz nach 14:00 Uhr wurde das Lied "Die Gedanken sind frei" und die entsprechend der zur Abstimmung stehenden Richtlinie umgetextete Version "Die Gedanken sind patentiert" gesungen.

Die Aktion verlief durchgehend friedlich und war um 15:00 Uhr beendet.

Worum geht es?

Das Europäische Patentamt (EPA) hat im Widerspruch zum Buchstaben und Geist des derzeit geltenden Gesetzes zehntausende von Patenten auf Programm- und Geschäftslogik erteilt, die wir im folgenden Logikpatente oder Softwarepatente nennen.

Die Europäische Kommission (EUK) drängt darauf, diese Patente zu legalisieren und in ganz Europa durchsetzbar zu machen. Dabei missachtet sie den deutlichen Willen und die wohlbegründeten Argumente der großen Mehrheit von Software-Fachleuten, Software-Firmen, Informatikern und Wirtschaftswissenschaftlern.

Softwarepatente konkurrieren mit dem Software-Urheberrecht und führen eher zu einer Enteignung von Software-Autoren als zu einem Schutz für deren Investitionen. Unter zahlreichen einschlägigen wirtschaftswissenschaftlichen Studien gibt es keine, die behauptet, Softwarepatente würden positives zur Produktivität, Innovation oder Wissensverbreitung beitragen oder in sonstiger Weise der Volkswirtschaft zu Gute kommen.

Ein Thema, was vor Kurzem nur wenige Computerspezialisten beschäftigt hat, kommt in die Medien. Viele Gruppen werden für das Thema sensibilisiert, und entdecken die Brisanz darin. Insbesondere Forscher und kleinere Unternehmen sehen sich in ihrer Existenz bedroht.

Der Berliner Spezialist für Multimediasoftware MAGIX bringt genau das zum Ausdruck was die Gegner von Softwarepatenten seit Jahren predigen: Die Richtlinie zeigt die "unverhohlene Interessenpolitik von Patentanwälten und anderen Vertretern des Patentwesens"; eine "juristisch fragwürdige und gesamtwirtschaftlich schädliche Veränderung der Gesetzeslage" soll hier durchgesetzt werden.

Doch Softwarepatente betreffen viele Branchen und Bereiche der Gesellschaft. Sogar der Staat selber wäre betroffen. Mit dem Patent EP0328232 hält eine Firma aus Florida das Patent auf ein Verfahren zur Signaturprüfung mittels einer Hierarchie von Zertifikaten. Genau dieses Verfahren ist aber durch das Signatur-Gesetz (SigG) für die sogenannte "qualifizierte digitale Signatur" zwingend vorgeschrieben. "Jede gesetzeskonforme digitale Signatur wäre eine Patentverletzung bzw. lizenzkostenpflichtig [...]. Die gesamte deutsche Verwaltung würde sich erpressbar machen.", befürchtet ein Mitarbeiter einer Berliner Firma, die kommunale e-Government-Software programmiert.

Immer mehr Unternehmen sprechen sich gegen Softwarepatente aus, zum Beispiel auch der größte deutsche Internet-Dienstleister 1&1. Wirtschaftsverbände drücken ebenfalls Sorge um ihre Mitglieder aus. Eine Allianz von CEA-PME, CEDI und ESBA -- drei Wirtschaftsverbände die insgesamt über zwei Millionen kleine und mittelgroße Betriebe aus ganz Europa repräsentieren -- haben kürzlich gemeinsam eine Erklärung abgegeben, welche Softwarepatente allgemein und den aktuellen Richtlinienentwurf speziell scharf kritisiert und abgelehnt.

Die Front der Softwarepatent-Kritiker wird immer breiter. Und die Kritik zeigt Wirkung: Ursprünglich war die Abstimmung schon für den 1. September geplant; jedoch musste sie verschoben werden, da die Abgeordneten durch die zunehmenden Proteste auf die Missstände aufmerksam werden, und an vielen stellen parteiinterne Uneinigkeit herrscht, wenn nicht sogar die Kritiker in der Mehrheit sind. Auch in der grössten Fraktion, der EVP, haben nun 32 Mitglieder unter Leitung der finnischen Abgeordneten Piia-Noora Kauppi eigene Änderungsvorschläge entgegen der Parteilinie eingebracht, die eine Patentierbarkeit reiner Software verhindern würden.

Seitdem vor über drei Jahren erstmals die Pläne der europäischen Kommission bekannt wurden, hat sich anhaltender Widerstand gezeigt, in letzter Zeit zunehmend erfolgreich. So hat die Eurolinux Allianz, ein Zusammenschluss verschiedener Verbände zur Förderung von freiem Wettbewerb, offenen Standards und quelloffener Software wie Linux, sehr bald eine Petition gegen Softwarepatente gestartet. Diese wurde mittler Weile von über 270000 Menschen unterzeichnet, fast die Hälfte davon in den letzten Wochen.

Insbesondere hat sich der deutsche FFII e.V. dabei hervorgetan, der unermüdlich gegen die Patentbewegung kämpft, durch öffentliche Diskussionen, anschreiben von Abgeordneten und anderen Schlüsselfiguren, verschiedene Konferenzen und in letzter Zeit auch durch das Organisieren von öffentlichen Protestaktionen.

Seit letzten Mittwoch läuft eine Aktionswoche mit Demonstrationen in vielen europäischen Großstädten. Den Auftakt machte eine Pressekonferenz in Brüssel. Am Freitag gab es kleinere Demonstrationen in Wien und München; am Samstag in Düsseldorf. Montag folgten Berlin und Stuttgart. Und zum Abschluss gibt es eine größere Demonstration vor dem Europaparlament in Strassburg. Begleitet werden diese Aktionen von Online-Demonstrationen im Internet, an denen sich tausende von Webseiten beteiligen.

Die Wahrscheinlichkeit steigt beständig, dass der Richtlinienentwurf die nötige Mehrheit nicht bekommt und nochmal überarbeitet werden muss. Und in der Zwischenzeit wird mit jedem Tag die Opposition stärker.

Weitere Hintergrundinformationen auf:
http://patinfo.ffii.org/ und
http://swpat.ffii.org/